Heimatverein Roßwag e.V.
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Otto von Horrheim und die Nonne von Rechenshofen

Eine Erzählung aus dem 14. Jahrhundert

Teil 1

Die Schatten des späten Abends hatten sich bereits über das Metterthal ausgebreitet, und soeben hatte das Geläute der Abendglocke ausgesummt, als Ludwig von Horrheim, von der nahen Eselsburg kommend, in die Stadt Horrheim einritt und vor seinem stattlichen burgähnlichen Hause abstieg.

Wie auf den Fluren, so lag auch auf seinem Angesichte ein Schatten, und es war leicht zu erkennen, daß der sonst so lebensfrohe, adelige Herr heute düstere Gedanken in seinem Innern beherbergte. Kaum war er auch in seiner Wohnstube angekommen, als er seiner trüben Stimmung Luft zu machen versuchte. Seinen 24jährigen Sohn Otto neben sich winkend, setzte er sich in den behaglichen Lehnsessel und begann in kurzen Ausrufungen: "O daß ich das erleben mußte! Es ist vorüber mit den Grafen von Vaihingen! Bald wird der Wirtenberger auch vollends seine Hand nach der Eselsburg und den Städten Horrheim und Hohenhaslach ausstrecken, und dann ist's um unser Geschlecht geschehen!" Otto verlangte nähere Aufklärung von seinem Vater, welche ihm im folgenden gegeben ward:

"Du weißt, wie unsere adelige Familie von jeher auf's engste mit dem Geschlecht der Grafen von Vaihingen zusammenhing. Als die Grafen von Vaihingen noch in ihrer Blüthezeit waren, da stand's auch gut mit den Herren von Horrheim. Daß unsere Vorfahren die Stadt Horrheim als Lehen von den Grafen empfingen, ist fast das Geringste, was wir ihnen verdanken; aber als Ministerialen derselben, als Aufseher über den größten Theil des Einkommens der Grafen und des Klosters Rechenhofen wurden uns sehr viele Rechte und Vergünstigungen zu Theil, welche uns erst die Mittel gaben, unserem Stande gemäß zu leben und ein adeliges Haus zu machen. Nun aber die Grafschaft zerfällt, und ein Stück ums andere von derselben abgerissen wird, nun brauchen die Grafen bald keine Ministerialen mehr, und uns bleibt zuletzt nichts als dieses Lehen, und wenn wir von diesem leben müssen, dann sind wir übel daran. In der herrlichen Burg in Vaihingen sitzt jetzt ein wirtenbergischer Burgvogt, der die Einkünfte für die Grafen von Wirtenberg bezieht. Doch wenn wir auch zwei Drittheile der Grafschaft verloren haben, so hatten wir bis jetzt noch unsere Eselsburg, wir hatten noch die Städte Horrheim und Hohenhaslach, wir hatten noch die Dörfer Ensingen und Klein-Glattbach und die Vogtei über Rechenshofen. Aber, denke dir, heute hat Graf Heinrich den letzten Rest seiner herrlichen Grafschaft dem Grafen Eberhard von Wirtenberg testamentlich vermacht und denselben aus besonderer Liebe und Freundschaft - so hat er angegeben - zu seinem Erben eingesetzt. Mechtilde, seine Schwester, that Alles, um es zu verhindern. Bitten und Tränen hat sie angewendet, ihren Bruder von diesem unseligen Vermächtnis zurückzuhalten, aber vergebens; der Wirtenberger hat den rechten Weg zu Heinrichs schwachem Herzen gefunden - er ist nun sein Erbe geworden, und ich fürchte, die Zeit ist nahe, wo er die Erbschaft einthut. Dann, mein lieber Sohn, hat es mit uns ein Ende, dann wird auch dieser Theil der Grafschaft vollends dem Burgvogt von Vaihingen untergeordnet werden; man braucht uns nicht mehr, uns bleibt nur noch dieses Lehen Horrheim, und auch das ist ungewiß, denn Eberhard ist unserer Familie nicht günstig, weil er weiß, daß ich bei dem Grafen von Vaihingen immer gegen seine eigennützigen Pläne gearbeitet, und die Grafen immer so viel als möglich - wenn auch vergebens - über ihre eigenen Interessen aufgeklärt habe. O, dieser Wirtenberger tritt noch Alles unter seine Füße! Die Herzoge von Teck sind gefallen, die Pfalzgrafen von Tübingen, die Grafen von Aichelberg, von Urach, von Neufen, von Calw, von Helfenstein - Alle - Alle hat er verschlungen und auf ihren Burgen weht nun die wirtenbergische Fahne! Bald, bald wird sie auch auf der Eselsburg wehen, wie sie schon auf der Vaihinger Burg flattert! O, daß ich diesen Tag erleben muß! - Rüste dich Otto! - deines Bleibens ist nicht länger hier. Mag für mich kommen, was da will, meine Lebensuhr ist bald abgelaufen; aber Du bist jung, hast einen ritterlichen Sinn, gürte dein Schwert um, zieh' in Fehde und Krieg hinaus, verdiene dir dort durch Tapferkeit den Ritterschlag und werde Du dann der Gründer eines neuen Geschlechts. Der Herr wird mit dir sein! Morgen mehr, - schlafe wohl!"

Der alte Ludwig von Horrheim hatte sich in sein Schlafgemach begeben, aber sein Sohn Otto ging noch lange in stilles Nachdenken versunken im Zimmer umher. Daß der Vater Recht habe, das konnte er sich nicht verbergen, und einige Augenblicke schlug auch der jugendliche Muth in leichten Flammen empor, und Otto träumte stolz von ritterlichen Thaten und Kämpfen. Doch bald war diese Aufwallung zu Ende und traurig seufzte er: "O, Antonie, wenn Du nicht wärest, wie gern würde ich hinausziehen in die Welt, wie gern Theil nehmen an den Kämpfen und Fehden!" Und traurig und mit beklommenem Herzen begab auch Otto sich endlich zur Ruhe und dachte an seine Antonie.

Wer war diese Antonie? Diese Antonie, welche das Herz des jüngeren Otto von Horrheim so sehr gefesselt hatte, war eine Tochter des Ritters Rudolph von Roswag und befand sich zu dieser Zeit als Novize im Frauenkloster Rechenshofen, eine halbe Stunde von Horrheim entfernt. - Auch die adelige Familie von Roswag war damals bereits sehr herabgekommen, und was das Kloster Maulbronn nicht von ihren Besitzungen verschlungen hatte, war kürzlich von Eberhard von Wirtenberg an sich gebracht worden. Rudolph von Roswag hatte zwar noch seinen Sitz in der Burg Alt-Roswag und die Nutznießung einiger Güter und Gefälle, allein die Burg war in so schlechtem Zustande, daß sie kaum noch zu bewohnen war, und da sein Stolz durch die schöne, kürzlich von dem Wirtenberger erbaute Burg Neu-Roswag empfindlich verletzt wurde, so übergab er nach dem Tode seiner Gattin, einer gebornen von Sternenfels, seine einzige Tochter dem Kloster Rechenshofen und trieb sich nun als Abenteurer in Krieg und Fehden herum, wo er als tapferer Ritter überall mit offenen Armen empfangen wurde. Die Äbtissin des Klosters Rechenshofen war eine Schwester seiner verstorbenen Gattin; ihr übergab er seine Tochter Antonie und befahl sie ihrem Schutze und ihrer Obhut. Antonie war damals siebenzehn Jahre alt, schön, lebhaft und der Liebling der Tante, der Äbtissin. Das Klosterleben wurde ihr daher so angenehm als möglich gemacht, und so einsam auch das Kloster Rechenshofen in den Wäldern des Strombergs lag, und so wenig sie für das abgesonderte Klosterleben paßte, so fehlte es der jungen Novize doch nicht an Zeitvertreib und angenehmer Unterhaltung. Manchmal nahm sie die Tante mit zum Besuche bei den benachbarten adeligen Familien, besonders nach Groß-Sachsenheim, wo Hermann von Sachsenheim sie stets gastfreundlich aufnahm; auch besuchten sie nicht selten benachbarte Kirchen, wo oft reisende Bettelmönche als Prediger auftraten. Auf diese Art kam eine angenehme Abwechslung in das einsame Klosterleben und flossen der jungen Novize mehrere Jahre leidlich dahin. Was Antonie aber in ihrer Einsamkeit am meisten beschäftigte und beglückte, war Otto von Horrheim. Von Kindheit an kannten sich diese jungen Leute, denn ihre Väter, Rudolph von Roswag und Ludwig von Horrheim, waren innige Freunde, die früher unter bessern Verhältnissen einander gegenseitig mit ihren Familien gar häufig besucht hatten. Bei den Kindern zeigt sich große Anhänglichkeit und Zuneigung, die mit den Jahren wuchs, und als der Knabe zum Jüngling, das Mädchen zur Jungfrau erstarkt war, in jene zarte, innige Liebe überging, die jugendliche Gemüther so stark aneinander fesselt und froh beglückt. Auch jetzt noch, da Antonie Novize im Kloster Rechenshofen war, sahen sie sich häufig, und jedes Wiedersehen knüpfte inniger das Band ihrer Herzen. Ruhig lag die Zukunft vor ihnen, denn Otto hatte bisher nichts Anderes gedacht, als Lehensmann und Beamter der Grafen von Vaihingen zu werden und dann seine geliebte Antonie zu ehelichen. War ja doch Antonie noch nicht Nonne, und so lange sie der Schleier nicht bedeckte, so lange stand ihrem Rücktritte vom Kloster kein Hinderniß im Wege, und je weniger sie sich bei ihrem lebhaften Temperamente fürs Klosterleben geschaffen wähnte, desto freundlicher erschien auch ihr die Hoffnung, daß Otto Mittel und Wege finden werde, sich eine feste Existenz zu gründen und sie aus dem Kloster zu erlösen.

Ganz andere Pläne trug aber ihre Tante, die Äbtissin, im Herzen. Sie hatte ihrem Schwager die Sorge für seine Tochter abgenommen, und nach ihrem Dafürhalten konnte diese nirgends eine bessere Versorgung finden, als im Kloster. Bei der allgemeinen Verarmung des Adels und bei den damaligen traurigen Zeitverhältnissen wurden die Klöster als Asyle betrachtet, in welchen man das ruhigste und sorgenfreieste Leben führen könne, und so sollte auch ihre Nichte, sobald sie das gesetzliche Alter erreicht hatte, den Schleier nehmen und sich ganz dem Klosterleben weihen. Antonie erfuhr nur zu bald von den Absichten ihrer Tante, welche sie in die größte Betrübniß versetzten. Auch bemerkte sie zu ihrem tiefsten Leid, wie ihre Tante Ludwig von Horrheim und seine Familie von ganzem Herzen hasse und allen Umgang mit demselben meide; wie sie, wenn Ludwig im Kloster die vogteilichen Geschäfte als Beamter des Grafen von Vaihingen zu besorgen hatte, demselben stets mit der größten Unzufriedenheit begegnete, und ihm so viele Hindernisse als möglich zu bereiten suchte. Diese Wahrnehmungen schmerzten Antonie sehr. Sie wußte nicht, daß ihre Tante als junges Fräulein von Sternenfels ihre Netze nach Ludwig von Horrheim, dessen schöne, männliche Gestalt ihr Wohlgefallen erregt hatte, ausgespannt, und daß er diese, indem er ihr ein Fräulein von Hohenscheid vorgezogen, zu einer unversöhnlichen Feindin für's ganze Leben gemacht hatte.

So standen ihrer Liebe und ihrer Hoffnung die größten Hindernisse im Wege, und traurig sah Antonie der Zukunft entgegen. Jedoch ließ sie die Hoffnung nicht ganz sinken, die Liebe verliert auch unter den größten Schwierigkeiten, die sich ihr entgegenstellen, den Muth nicht ganz, - sie hofft von der Zukunft eine glückliche Änderung der Umstände.

So standen die Dinge an jenem Abend, als Ludwig von Horrheim und sein Sohn Otto nach ihrem Zwiegespräch sich zur Ruhe begeben hatten.

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(nach oben) © 2023 Heimatverein Roßwag e.V. -- zuletzt geändert am 24.03.2023