Heimatverein Roßwag e.V.
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Otto und Antonia - Teil 2

Ludwig von Horrheim hatte am andern Morgen in Beziehung auf seinen Sohn den Sinn nicht geändert. Auf's neue setzte er ihm die Notwendigkeit auseinander, den Gedanken, sein Nachfolger als Ministerial der Grafen von Vaihingen zu werden, fahren zu lassen, und redete ihm wiederholt zu, in die Welt zu ziehen und mit Hilfe seines guten Schwertes eine andere, bessere Stellung zu erwerben. Er rieth ihm zugleich, sich zu Rudolph von Roswag zu begeben, der sich damals bei dem Herzoge von Österreich befand, welcher eine bedeutende Zahl von Kriegern, namentlich vom Adel, um sich gesammelt hatte, um mit ihnen gegen die Schweizer zu ziehen. Otto war bereit, das väterliche Haus zu verlassen, und sein Glück im Kriege zu versuchen, allein Österreich lag ihm zu weit entfernt. Er wollte seiner Antonie näher sein, sie nicht ganz aus den Augen lassen, und er schlug deßhalb seinem Vater vor, bei dem Grafen Eberhard von Wirtenberg, der damals von den Reichsstädten hart bedroht wurde, Dienste zu nehmen. So unangenehm dieser Vorschlag dem Vater war, welcher schon längst eine starke Abneigung gegen den Grafen hatte, so gab er doch endlich den Bitten seines Sohnes nach, da er es nicht in Abrede stellen konnte, daß - wenn sein Sohn das Wohlwollen dieses mächtigen Grafen sich erwerbe, es ihm nicht fehlen dürfte, ein bedeutenderes Lehen als Horrheim oder sonst eine einträgliche Stelle zu erhalten. Schon am andern Tage reiste Otto nach Stuttgart, wohin seit ungefähr dreißig Jahren die Grafen von Wirtenberg ihre Residenz verlegt hatten, und bot Eberhard II. seine Dienste an. Dieser nahm den jungen ritterlichen Mann, der auch in allen Kriegskünsten wohl geübt und erfahren war, freundlich auf, versicherte ihn seiner Gewogenheit und drückte ihm den Wunsch aus, daß er schon am dritten Tage bei ihm eintreffen möchte, weil der Krieg mit den Städten täglich zu beginnen drohe. Otto versprach, pünktlich einzutreffen und wurde gnädig entlassen.

Ludwig von Horrheim vernahm mit Freude den Bericht seines Sohnes, und je mehr er bisher gegen Eberhard eingenommen war, desto befriedigender war für ihn die freundliche Aufnahme, die Otto gefunden. In großer Eile wurde nun die Ausrüstung betrieben, die Otto für seinen neuen Beruf nöthig hatte, und schon am andern Tage waren Vater und Sohn in der Frühe auf der Eselsburg, wo Graf Heinrich von Vaihingen, ein Freund Eberhards II., mit Vergnügen den Entschluß des jüngern Horrheim vernahm und seine Zustimmung dazu gab, daß dieser in Eberhards Dienste trete. Während sein Vater und Graf Heinrich noch Mancherlei besprachen, schaute Otto durch's hohe Burgfenster hinüber nach Rechenshofen, und das Herz klopfte ihm stärker, als er dachte: "Was wird Antonie zu Deiner schnellen Abreise sagen?" Die innigste Sehnsucht zog ihn zu ihr hin, und er beschloß, sie noch heute zu sehen, was ihm leicht möglich war, da Antonie ihre Abende im Sommer meist in dem großen Klostergarten zubrachte, zu dem sein Vater als Ministerial des Schutzvogtes einen eigenen Schlüssel hatte.

Der Abend kam und bereits stand Otto auf der Lauer in einem der entferntesten Theile des Gartens. Bald sah er Antonie von weitem, das wohlbekannte Zeichen seiner Anwesenheit ward gegeben, und sie eilte flugs dem lieben Platze zu, der so ganz geeignet war, sie vor neugierigen Augen und Ohren zu schützen. Die reinste Freude und innigste Liebe strahlte aus ihren Augen, als sie den Geliebten begrüßte.

Aber bald ward der Blick düster, bald schwamm das Auge in Thränen, als sie von Otto gehört hatte, was in den wenigen Tagen geschehen und was ihnen nun bevorstehe. An eine Trennung von Otto hatte Antonie noch nie gedacht, daher wurde ihr jetzt dieser Gedanke, der so plötzlich in ihre Seele geworfen wurde, entsetzlich und fürchterlich. Es wurde ihr zu Muthe, als möchte sie nimmer leben, wenn Otto nicht mehr in ihrer Nähe sei. Doch gelang es ihm, sie allmälig zu beruhigen und zu trösten, indem er ihr vorstellte, wie er gerade aus Liebe zu ihr des Vaters Bitte, sich an den Herzog von Österreich zu wenden, widerstrebt, und wie er denn doch von Eberhards Hofe aus oft Gelegenheit haben dürfte, sie wieder zu sehen, da die Entfernung nicht groß sei. Aber kaum beruhigt durch die friedliche Hoffnung des öftern Wiedersehens, gedachte sie der Gefahren, denen er im Kriege entgegengehe, und sie fing auf's Neue bitterlich zu weinen an. Auch in dieser Beziehung beruhigte er sie endlich wieder mit dem religiösen Troste, daß ja sein Leben unter dem Schutz und Schirm des Allerhöchsten stehe und daß ohne den Willen Gottes kein Haar von seinem Haupte fallen könne, und aufs neue versicherten sich Beide ihre ewige Treue und Liebe. Noch zwei Jahre sollte das Novizenleben Antonies dauern, dann sollte sie nach dem Willen ihrer Tante den Schleier nehmen und als Nonne eingekleidet werden; aber sie versicherte Otto, wie Nichts in der Welt sie bewegen könne, ihrer Tante nachzugeben und ihn zu verlassen, und daß sie im Nothfalle auf die Unterstützung ihres Vaters baue. Otto dagegen gab ihr dafür das feierliche Versprechen, unter allen Umständen vor Ablauf dieser zwei Jahre wieder zu kommen und ihr Hand und Herz zum Ehebunde zu bieten. Lange erschien ihnen freilich die Zeit noch bis zu diesem ersehnten Ziele, aber sie nahmen sich vor, geduldig zu harren, täglich und stündlich einander in treuer Liebe zu gedenken und dann trösteten sie sich hauptsächlich damit, daß es ja doch möglich sei, daß Otto manchmal seine Eltern besuchen dürfe, und daß dann auch bei ihnen ein kurzes Wiedersehen zu erhoffen sei. So war die Stunde des Abschieds gekommen. Noch eine letzte Conferenz, noch ein feierlicher Schwur, einander anzugehören bis zum Tode, und Otto riß sich mit thränenden Augen und zerrissenem Herzen los, während Antonie stille weinend noch die einsamsten Plätze des Gartens aufsuchte, bis sie sich wieder nothdürftig gesammelt hatte, um in der Gesellschaft der Nonnen erscheinen zu können.

Ebenso traurig war der Abschied Otto's von seinen Eltern in Horrheim. Er hatte Vater und Mutter noch vorher seine Liebe zu Antonien und ihren gegenseitigen Bund anvertraut, ihre Billigung erhalten und zugleich des Vaters Versprechen, über Antonie zu wachen, damit sie nicht von ihrer Tante zu früh zur Einkleidung gezwungen werde. - So zog Otto mit dem Segen der Eltern, zwar traurig, aber dennoch beruhigt von dannen, und befand sich bald am Hoflager Eberhards II., wo ihm bei andern ritterlichen Mannen eine Wohnung angewiesen wurde. - Sein Sinn war nun ganz auf Kampf und Krieg gerichtet. Er wollte sich auszeichnen durch ritterliche Thaten, er wollte Eberhards Aufmerksamkeit auf sich ziehen, seine Gewogenheit erwerben, sich einen Namen machen und die Ritterwürde verdienen; dann hoffte er, daß ihm in Bälde eine solche Stellung zu Theil werde, die es erlauben würde, sich mit Antonie zu verbinden. Und war je eine Zeit geeignet, sich durch Muth, Tapferkeit und ritterlichen Sinn emporzuschwingen, so war es diese. Die Kurfürsten waren gegen den Kaiser, der seine Besitzungen immer weiter ausdehnte, aufgebracht; die Fürsten waren über die den Kurfürsten ertheilten Vorrechte, der Adel über die Beschränkung des Fehderechts, die Städte wegen Kürzung ihres Einigungsrechtes und wegen des Verbots, Pfahlbürger aufzunehmen, mißvergnügt. Überall Uneinigkeit und Zwietracht, überall Anlässe zu Krieg und Fehden.

So hatten damals die Grafen von Wirtenberg mancherlei Streit mit den Städtern, deren wachsende Macht ihnen ein Dorn im Auge war. Die Städte standen den Grafen bei manchem vortheilhaften Kauf im Wege, zu ihnen flüchtete sich, wer deren Rache fürchtete, zu ihnen flohen auch viele Unterthanen derselben, durch Erwerbung des städtischen Bürgerrechts der Grafen Herrschaft sich entziehend. Diese dagegen thaten den Städtern auf andere Art wehe, sie störten durch Wegelagerungen, durch Erhöhung von Zoll und Mauth deren Handel, sie sperrten ihnen die Zufuhr von Lebensmitteln, oder verboten ihren Untertanen den Verkehr mit denselben; auch übten sie ihre vogteilichen Rechte mit großer Strenge aus. So gab es beständig Anlaß zu Händeln, welche häufig in ernstliche Fehden ausbrachen. Eben zu der Zeit, als Otto von Horrheim in die Dienste des Grafen Eberhard II. getreten, war die Erbitterung der Reichsstädte gegen die Grafen auf's Höchste gestiegen. Die Eßlinger fielen zuerst den Grafen von Wirtenberg in ihr Land. Strümpfelbach wurde angezündet, Felder und Weinberge verheert, der Wein ausgeschüttet. Die Herzoge von Baiern und Grafen von Ötingen, welche mit Eberhard verfeindet waren, unterstützten die Städte, und bald kam es zum blutigen Kampfe. Graf Eberhard zog mit seiner Schar Eßlingen zu. Dort erhub sich auf der Plienshalde ein scharfes Gefecht, in welchem die Wirtenberger, mit ihnen Otto von Horrheim, Wunder der Tapferkeit verrichteten, so, daß der Städte Volk total geschlagen wurde und mehrere ihrer Hauptleute fielen. Bald nachher zogen die Wirtenberger vor Heilbronn, belagerten die Stadt, verheerten ihr Gebiet, und erfochten auch hier einen glänzenden Sieg. Otto hatte sich auch bei diesem Feldzug ritterlich und tapfer gehalten, daher er von Eberhard zum Leibknappen ernannt wurde. Im Übrigen gab es wenig Rast und Ruhe, denn an Eberhards Hoflager herrschte selten Friede, und als Leibknappe mußte er meist um die Person des Grafen sein. Gab's nichts mit den Städten zu thun, so gab's Fehde mit irgend einem adeligen Herrn, oder man mußte einem Kloster zu Hilfe kommen, oder es war ein Executionszug auf Befehl des Kaisers zu machen, da Eberhard auch Landvogt in Schwaben war; und so war Otto bald ein Jahr in Eberhards Diensten, ohne nur ein einziges Mal Gelegenheit gefunden zu haben, seine Eltern und Antonie zu besuchen. Er hatte auch bereits längere Zeit nichts von ihnen gehört und war in großer Besorgniß, da eine leidige Pest, welche auf Schiffen aus dem Morgenlande nach Italien verschleppt wurde, ihren verheerenden Zug von dort durch Frankreich und Deutschland genommen, und jetzt alle Gemüther in Schrecken und Entsetzen versetzt hatte. In den Städten starben die Menschen zu Tausenden. Schwarze Beulen und Drüsen von der Größe eines Eies bedeckten schnell den Körper, und in weniger als drei Tagen, oft in wenigen Stunden folgte der Tod. Die Krankheit griff so schrecklich um sich, daß ganze Geschlechter ausstarben und ganze Gegenden entvölkert wurden. Das Volk schrieb diese Seuche den Juden zu und verfolgte, besonders in Städten, diese Unglücklichen auf's Grausamste. So viele Opfer auch in Otto's Nähe fielen, so blieb er doch von dieser fürchterlichen Krankheit gnädig verschont, war aber nur um so unruhiger und besorgter wegen seinen Lieben in der Heimath, und nahm sich daher fest vor, einen kurzen Urlaub bei Eberhard zu erbitten, um seine Eltern und Antonie wieder zu sehen.

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